Migros Magazin

Mai 2013

Alles muss weg

Bye-bye, A...geweih! Noch nie war es so einfach, tätowierte Körpergemälde auf Nimmerwiedersehen verschwinden zu lassen. Fünf Männer und zwei Frauen erzählen, warum sie ihr Tattoo nicht mehr wollen.

Neuer Job, neuer Lebensabschnitt, neuer Partner — die Gründe für das Entfernen eines Tattoos sind so vielfältig wie die Anlässe für dessen Entstehung: wilde Jugendjahre, Mutproben, Spontanentscheide aus einer Bierlaune heraus.

Patrick Aeberli (33) von der Tattooentfernungspraxis in Dietlikon ZH kennt diese Geschichten. «Manchmal komme ich mir vor wie ein Seelsorger», sagt er. Oft fliessen bei seinen Kunden die Tränen, meist Tränen der Erleichterung. Denn mit dem Tattoo lässt so mancher ein Stück Lebensgeschichte los, mit dem er sich nicht mehr identifizieren kann.

Mit jeder Tätowierung geht eine Geschichte einher

Manchmal geht nicht nur das Tattoo unter die Haut, sondern auch die Geschichte dazu. Patrick Aeberli erinnert sich an jene Kundin, die er fragte, warum sie den tätowierten Männernamen entfernen lassen wollte. «Daraufhin weinte sie eine Dreiviertelstunde lang», so Aeberli. Der Name, so stellte sich heraus, war derjenige ihres verstorbenen Mannes. Seither stellt Aeberli keine Fragen mehr. Viele Kunden erzählen trotzdem. Während Aeberli in der Dietliker Tattooentfernungspraxis am Laser sitzt, ist sein Kompagnon Adrian Gsell (44) für Finanzen und Marketing zuständig.

Vor eineinhalb Jahren haben die beiden die Praxis gegründet. «Inzwischen», so Gsell, «verfügen wir als erstes Institut der Schweiz über den modernsten Vierwellenlaser, den es gibt.» Der Strahl zerlegt die Farbpigmente des Tattoos innerhalb von Sekundenbruchteilen in mikroskopisch kleine Teile, die danach über das Lymphsystem aus dem Körper ausgeschieden werden.

Eine Sitzung dauert zwischen 5 und 20 Minuten. Einen Oberarm blank zu lasern kann bis zu 500 Franken pro Behandlung kosten und bis zu zehn monatliche Sitzungen beanspruchen — jede einzelne sehr schmerzhaft. Auf Wunsch kann deshalb ein Hautkühlsystem zugeschaltet werden. «Es macht das Lasern nahezu schmerzlos», sagt Gsell.

Das Geschäft läuft und hat grosses Wachstumspotenzial

Für diese Tortur pilgern jährlich über 100 Tätowierte regelmässig in die Praxis in Dietlikon, Tendenz steigend. Es sind Frauen, für die der Schriftzug «Welcome to Hell» über dem Intimbereich irgendwie nicht mehr stimmt, zahlreiche Kunden, die das aus der Mode gekommene Arschgeweih weglasern lassen und ebenso viele, welche ihr Maori nicht mehr wollen, jenes Sujet mit den spiralförmigen Linien, das vor etwa fünf Jahren angesagt war.

In zwei, drei Jahren, so prophezeit Adrian Gsell, sind die Verzierungen innen an den Handgelenken fällig, die zurzeit massenhaft gestochen werden. Gsell plant bereits die Expansion der Praxis, denn er sieht ein ordentliches Marktpotenzial: «Jeder zweite Schweizer zwischen 18 und 70 Jahren ist tätowiert», sagt Gsell, «das sind rund 2,5 Millionen Menschen. Ich schätze, dass etwa zehn Prozent von ihnen ihr Tattoo bereuen.»

Es reut ihn, die perfekte Tätowierung wegzulasern

Die neue, schnelle und saubere Methode hat sich auch schon im Ausland herumgesprochen: So reist eine Kundin jeden Monat einmal aus Wien an, um eine kleine Blume am Bein loszuwerden. Eine andere lässt sich regelmässig aus Köln herchauffieren, um nach einer fünfminütigen Sitzung wieder nach Hause zu fahren.
  Egal welches Sujet: Wenn der Zustand der Haut es erlaubt, lässt man in Dietlikon jedes Tattoo spurlos verschwinden. Nur hie und da tut Aeberli seine Arbeit zähneknirschend. Zum Beispiel bei der jungen Frau, die ihre Rückendekoration auf Wunsch ihres Partners entfernen lässt. «Ein wunderschönes, perfekt gestochenes Tattoo», sagt Aeberli kopfschüttelnd, «eine Schande, das wegzumachen.»

 

Marcel Jetzer (38), Filmemacher, Zürich

Bis Ende Jahr ist Johnny Cash weg

Noch ist Countrysänger Johnny Cash verschwommen zu sehen. Er war nicht scharf gestochen, deshalb will ihn Marcel Jetzer loswerden.

«Wenn ich mit Kunden spreche oder Finanzverhandlungen führe, verdecke ich meine Tattoos immer. Einige passen zudem nicht mehr in mein Leben, die wilden Jahre sind vorbei. Ein neues Tattoo wird auch nie dazukommen.

In jungen Jahren habe ich in den USA gelebt, unter anderem in Oakland und San Diego. Es waren tolle, aber auch schwierige Jahre. Das chinesische Zeichen auf dem Rücken steht für Veränderung, das habe ich in einem abgefuckten Harley-Davidson-Schuppen irgendwo in der Wüste von Wyoming spontan machen lassen. Da war ich 24 und mit einer Frau am Trampen, sie hatte ein Tattoo, ich wollte auch eines. Vor fünf Jahren ist in Zürich Elvis dazugekommen, auf dem rechten Oberarm, als Zeichen für meine Verbundenheit zur Musik. Er hat mir eigentlich nie richtig gefallen, aber viele Leute finden ihn cool. Der Vogel mit den Sternen am rechten Oberarm innen steht für Freiheit.

Dann habe ich noch einen Ring am Unterarm innen, das ist der Navin-Ring. Er steht für die Geburt meines Sohns, der vor neun Jahren bei Leermond zur Welt gekommen ist. Über den roten Stern auf dem linken Unterarm spreche ich nicht.

Johnny Cash auf der linken Schulter muss jetzt weg. Er ist nicht so schön gestochen, und ich werde zu oft auf ihn angesprochen. Das Weglasern tut ziemlich weh, mehr als das Stechen, und es dauert acht bis zehn Sitzungen. Aber bis Ende Jahr ist Johnny weg.»

 

Brigitte Müller (38), kaufmännische Angestellte, Zürich

Noch 60 Jahre so rumlaufen

Brigitte Müller will die Blumenranke am Oberarm und die Vögeli auf den Füssen wegmachen lassen.

«Als ich 16 war, habe ich das erste Tattoo machen lassen: eine Sonne am Rücken. Meine Mutter gab mir widerwillig die Erlaubnis. Kurz nach dem ersten Stechen bin ich in ein anderes Studio marschiert und wollte ein weiteres Tattoo. Als man mich fragte, ob ich schon alt genug sei, zeigte ich meine Sonne und sagte: ‹Ich habe schon eines. Du siehst ja, dass ich alt genug bin dafür.›
Die fliegenden Vögeli auf den Fussrücken ­stehen für Freiheit. Ich war schon drei Mal mit Freundinnen in Dublin, und als Souvenir haben wir uns alle im Mai letzten Jahres ein Tattoo machen lassen. Beim Stechen war ich total euphorisch, und einen Monat lang fand ich die Vögeli uu läss. Dann begannen sie mich zu nerven. Die Entscheidung zum Weglasern fiel vor einigen Monaten, als ich mich fragte: Willst du noch 60 Jahre so rumlaufen?

Ich trenne mich auch von den Blumenranken am linken Arm. Mit denen wollte ich vor andert- halb Jahren die Sonne kaschieren, aber das Ergebnis hat mir von Anfang an nicht gefallen. Nur die Hibiskusranken am Ellenbogen bleiben. Wenn ich schon regelmässig ins Tattooentfernungsstudio komme, lasse ich auch gleich zwei andere Sachen entfernen: das Zeichen für Fische auf dem rechten Handteller und das Zeichen für Wasser am linken Handgelenk.

Bald gehe ich nach Hawaii und habe mir überlegt, dort ein Tattoo stechen zu lassen, ein Maori. Aber ich glaube, das lass ich wohl bleiben, wenn ich jetzt schon Tattoos wegmachen lasse. Eines am Rücken würde mir nie verleiden. Und tatsächlich trage ich dort die Sternzeichen all meiner Familienmitglieder. Wenn ich mal Kinder habe, lasse ich mir vielleicht auch deren Sternzeichen tätowieren. Auf den Rücken natürlich.»

 

Martin Wermelinger (33), Aussendienstmitarbeiter, Lenzburg

Es regt mich jedes Mal auf

Wegen der auffälligen Tattoos an seinen Armen trägt Martin Wermelinger keine ärmellosen T-Shirts mehr.

«Mein Tattoo werde ich garantiert nicht vermissen, es regt mich jedes Mal auf, wenn ich es sehe. Deshalb laufe ich nicht mehr in ärmellosen Shirts rum, und bei der Arbeit trage ich Hemden. Da will ich die Dekorationen nicht zeigen, obwohl es mir der Arbeitgeber nicht verboten hat.

Alles begann vor 13 Jahren mit einem einfachen Ring um den Oberarm. Ich wünschte mir etwas Ästhetisches und habe mich vor Ort im Studio in Luzern für das Sujet entschieden. Das war so weit okay, aber vor sieben Jahren wollte ich mal was anderes haben und liess den Ring zur Schulter rauf mit einem Maori ergänzen. Ein Jahr später dann das Gleiche runter zum Ellenbogen. Jetzt gefällt mir das Ganze überhaupt nicht mehr: Ich lasse es weglasern.

Was bleibt, sind die chinesischen Zeichen für Gesundheit, Liebe und Energie rechts am Oberkörper und der Name meiner Tochter am linken Oberarm innen. Das gleiche Tattoo hat meine Frau. Falls überhaupt, kommt für mich nur ein einziges neues Sujet infrage: der Name eines zweiten Kindes.»

 

Thomas (52), Angestellter eines Telekom-Unternehmens, Uster

Am gleichen Abend habe ich es bereut

Das Ketten-Tattoo will Thomas behalten, die Sonne fällt dem Laser zum Opfer.

«Mein erstes Tattoo habe ich mit 20 stechen lassen: Eine Kette um den rechten Oberarm, dazu gehören die Sonne auf der Schulter und ein kleines Tribal im Kreuz. Alles keltische Symbole für Schutz, das war ein Statement zur damaligen Harley-Szene, der ich angehörte. Ich war in Daytona in Florida, ich ging an Loverides, eine lässige Zeit. Mit einem Tattoo war man speziell, exotisch und irgendwie wild.

Inzwischen sind Tattoos Mode geworden, auch Halbstarke tragen sie. Das ist nicht mehr meine Welt. Und ein Tattoo passt nicht mehr so richtig zu meinem heutigen Leben als Familienvater, obwohl die Kinder überhaupt kein Problem damit haben. Ausserdem arbeite ich jetzt an der Kundenfront. Da geht so etwas gar nicht mehr. Die Kette bleibt, aber die Sonne und das Tribal kommen weg, ebenso die riesige Sphinx, die meinen Rücken bedeckt. Die habe ich vor zwei Jahren spontan stechen lassen, nach einem langen Tag an einer Messe. Schon am gleichen Abend habe ich das bereut. Die Sphinx ist nicht besonders gelungen, und meine Frau ist sowieso total gegen Tattoos. Drei Tage lang konnte ich den tätowierten Rücken vor ihr verbergen, dann habe ich gebeichtet. Inzwischen finde ich einen untätowierten Körper auch schöner. Kürzlich habe ich eine ältere Frau mit Tattoos gesehen. Das fand ich irgendwie schlimm – bei Männern übrigens auch.

Seit einiger Zeit befasse ich mich intensiv mit den Möglichkeiten, die Tattoos loszuwerden, und bin total froh, dass es nun diese saubere und schnelle Methode der Tattooentfernungspraxis gibt. Das Ganze kostet mich 6000 bis 8000 Franken, das ist es mir wert.»

 

Sandro Ferrara (24), kaufmännischer Angestellter, Schaffhausen

Ich sehe ja aus wie ein Terrorist

Sandro Ferrara hat beschlossen: Der arabische Schriftzug auf der Brust muss weg. Italia darf bleiben.

«Meine Mutter Lorena kommt aus Algerien, mein Vater Antonio aus Italien, und auf meiner Brust steht in arabischer Schrift: Liebe, Familie, Lorena, Antonio. Meine Eltern waren vor fünf Jahren geschockt, dass ich mich auf der Brust tätowieren lassen wollte. Jetzt bedauern sie, dass der Schriftzug wieder wegkommt. Aber für mich geht das nicht mehr, ich sehe ja aus wie ein Terrorist. Mein erstes Tattoo bleibt aber, das Wort Italia innen am rechten Oberarm. Das stammt aus dem Sommer 2006. Ich war mit Freunden in Rimini, als Italien Fussballweltmeister wurde. Das feierten wir bis am Morgen um vier und stolperten dann in ein Tattoostudio, um uns stechen zu lassen. Mein Vorbild in Sachen Tattoos ist David Beckham. Der sieht einfach cool aus. Tattoos am Hals und an den Unterarmen gehen bei mir aber nicht, ich wechsle bald in den Aussendienst. Stechen auf der Brust tut tierisch weh, das Weglasern auch, und doch: Wenn ich mal Kinder habe, möchte ich ihre Namen und Fussabdrücke auf die Brust tätowieren lassen.»

 

Bonita Marijanovic, Berufsmittelschülerin Gestaltung (26), St. Gallen

Die werde ich auf keinen Fall vermissen

Bonita Marijanovic störte sich daran, dass die Leute tuschelten, wenn sie im Sommer ihre Tattoos sahen.

«Ich habe drei Tattoos, die jeweils aus verschiedenen Elementen bestehen: Auf der linken Schulter und dem Oberarm trage ich ein Leopardenmuster, dazu gehören die Rose am Ellenbogen, das Frauengesicht am inneren Oberarm und das Auge in der Armbeuge. Ausserdem sind da noch Schmetterlinge und ein Vogel. Das Muster und die Frau sind nicht besonders schön geworden, die Frau ist zudem falsch platziert. Schade, denn es geht um eine Mexikanerin, die den Tag der Toten feiert und sich dafür extra schön gemacht hat. Einen Sommer lang bin ich nur mit langarmigen Teilen rumgelaufen, so sehr haben mich die Tattoos gestört. Dann habe ich sie etwas korrigieren lassen und traute mich immerhin wieder mit Kurzarmshirts unter die Leute. Wenn man die Tattoos sieht, starren die Leute hin und tuscheln, das nervt. Jetzt muss fast alles weg. Das Einzige, das am Arm bleibt, ist die Rose.

Ich habe auch noch ein Arschgeweih, das ich mit 16 habe machen lassen, zudem eine Katze, die meinen Oberschenkel hinunterspringt sowie auf dem Bauch eine Elfe. Und einen Stern hinter dem Ohr, den haben eine Kollegin und ich vor acht Jahren machen lassen, weil wir zusammen einen total geilen Sommer hatten. Das bleibt alles.

Jetzt, wo die störenden Zeichnungen am Oberarm am Verschwinden sind, freue ich mich auf den Sommer. Diese Tattoos werde ich auf keinen Fall vermissen, ich kann den Tag kaum erwarten, an dem sie ganz verschwunden sind. Anderseits ist ein neues Sujet auch nicht ausgeschlossen, ein gewisses Suchtpotenzial ist nämlich da.»

Text: Yvonne Hettinger
Bilder: Jorma Müller

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